Jazz-Kalender
20.04.24 09:07:06|Besucher online: 1247|Konzerte:91|gerade gesucht: Rathaus

Flagge englisch Flagge englisch Lisa Bassenge + Band

Das Ende des Jazz wird ja häufiger betrauert. Gerade wenn man von Sängerinnen spricht. Lisa Bassenge geht es da nicht anders als Billie Holiday zu ihrer Zeit, die auch keinen Wert darauf legte, ihre Songs mit technisch beeindruckenden Scat-Koloraturen zu verwässern. Aber zu den Stärken der großen Sängerinnen gehört es auch schon immer, dass sie sich darum den Kopf nicht zerbrechen, wie ihre Musik in den Schubladensystemen der Kenner, Kritiker und Gefängniswärter abgelegt wird. Hauptsache: Musik, und gut, also eindringlich, intensiv, mitreißend. An derartigen Kriterien misst sich Lisa Bassenge nun mit dem ersten Live-Album, das sie im Frühjahr mit ihrer neu formierten Band aufgenommen hat.

Bass, Klavier, Stimme, sonst nichts: die kleine Besetzung bot Lisa Bassenge lange die besten Voraussetzungen, die Rollen, die ihr das Repertoire aus bekannten Songs aus der Geschichte von Jazz, Rock'n'Roll, Popmusik bereitstellte, auseinanderzupflücken und die Spannung zwischen Verfremdung und Wiedererkennung auf ihre eigene Art zu verdrehen. Ihr analytisches Werkzeug blieb die Stimme, dieser kehlige Alt, der sich selten in den Bauch zurückzieht und immer etwas görenhaft Frisches, leicht verwundert vor der Welt Zurückschreckendes bewahrt. Im Trio nahm sie die einzelnen Songs deutlich verlangsamt, als wollte sie ihre Stimme unter das Mikroskop schieben und jede einzelne Nuance genauer untersuchen. Mit der leichten Distanz zu den gesungenen Geschichten, die in dieser Herangehensweise steckt und dem Abschied von der immanenten Behauptung, all die düsteren oder weniger düsteren Geschichten tatsächlich durchlitten zu haben, wuchs die 1974 in Berlin geborene und an der Hanns-Eisler-Musikhochschule ausgebildete Lisa Bassenge über mehrere Jahre und drei Trio-Studio-Produktionen zur wichtigsten unter den jüngeren deutschen Sängerinnen, die man irgendwie mit Jazz verbindet.

Schon die letzte Studio-Produktion "A Little Loving" schlug einen neuen Weg ein. Das Trio wurde um den vertrauten Bassisten Paul Kleber herum mit Schlagzeug und Gitarre zu einer vollzähligen Band ausgebaut. Damit ergaben sich zusätzliche Wege des Zusammenspiels, zunächst Andy Haberl und nun Rainer Winch am Schlagzeug stärken den Groove, der ungemein flexible Kai Brückner als Gitarrist und der neue Pianist Christoph Adams verschieben das klangliche Gewicht von der klassischen Reinheit des Klaviers in Richtung elektrischer und insgesamt modernerer Sounds. "won't be home tonight", das Live-Album, ist das Dokument des Erfolges des runderneuerten Konzepts. Mit einem Repertoire, das zu einem Drittel direkt dem Vorgänger-Album entstammt, agiert die Band wie losgelassen, dynamisch, druckvoll und direkt stürmt sie in die Räume, die sich in ihrem Zusammenspiel ergeben, und jeder einzelne nutzt die Gelegenheiten, die Musik in eine neue Richtung über die Ufer treten und eine neue Form annehmen zu lassen.

Aber alles zu seiner Zeit: immer dann, wenn die Sängerin ans Mikrophon tritt, nimmt sich die Band zurück und schafft den transparenten Rahmen, in dem die Stimme der Sängerin ihre Wirkung ausbreitet - klar und bestimmt, mit großer Gelassenheit in der Phrasierung, doch durchaus robust und scharf, wenn es denn einmal nötig werden sollte. Gereift, dem Rückzug auf das Mädchenhafte soweit entwachsen, dass sie nun mit hörbarem Vergnügen in belebteren Regionen der Popkultur wildert ist diese Sängerin: mit untergründiger Schärfe und einem dunklen, bauchigen Knurren nähert sie sich ein paar Schritte dem Rhythm & Blues der Neville Brothers, verpflanzt den harten Rock von AC/DC in einen JukeJoint der Südstaaten und surft ohne Zögern auf den Schaumkronen des Sugababe-Covers "Overload". Lisa Bassenge bleibt in Bewegung. Das ist, wenn man genau hinsieht, eines der größten Komplimente, die man einer Musikerin machen kann.