Jazz-Kalender
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Bê Ignacio

Bê Ignacio

Betina Ignacio

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In Sao Paulo geboren und aufgewachsen, inzwischen am Bodensee und am Rande des brasilianischen Dschungels ansässig, bündelt Bê Ignacio auf »Tropical Soul“ die verschiedenen Genres, mit denen sie aufwuchs.
Los Angeles, Sao Paulo, Spanien, Konstanz. Pop made around the world – dieses musikalische Reiseerlebnis lassen Bê Ignacio und ihre Band ab September 2016 auf der Bühne Revue passieren. Drei Jahre nach den Konzerten ihrer »India Urbana«-Tour, kehrt Bê Ignacio auf die Bühnen zurück.

Flagge englisch Bê Ignacio

Alles ist auf dem Weg, immerzu. So spielt das Leben von Bê Ignacio. Die deutsche Stimme Brasiliens feiert auf ihrem neuen Album »Tropical Soul« den Mut zur Selbstbestimmung, zur Weiblichkeit und zur Willensstärke.

Guten Tag, hello, bom dia!

Als ich die Songs für mein neues Album »Tropical Soul« geschrieben hatte, erlebte ich eine Überraschung. Wenn man Tag und Nacht Ideen umsetzt, verwirft und wieder aufgreift, konzentriert man sich zwangsläufig auf den jeweiligen Moment. Alles Vorherige ist dann bestenfalls eine schemenhafte Erinnerung. In ihrer Gesamtheit muteten die 9 neuen, fertigen Songs plötzlich wie die Geschichte meines Lebens an. Die Lieder erschienen mir wie Lebensbekenntnisse, die mir kurz den Atem stocken ließen. Hatte ich das wirklich alles in 37 Jahren erlebt?

Das Songschreiben war und ist bei mir ein intuitiver Prozess. Was mich bewegt, bringe ich zu Papier. In den »Tropical Soul«-Songs steckt viel autobiografisches, weil ich unbewusst Resümee zog. Ich ließ meine bisherige Lebensreise in all ihren Höhen und Tiefen, mit allen Glücksmomenten, Ecken und Kanten, Revue passieren. Schnell war klar, dass wir das Rohmaterial für ein Reise-Album geschrieben hatten. Es handelt vom Unterwegssein zum Kern meiner Seele. Aber es skizziert auch das Reisen zwischen den Kontinenten, denn meine Lebenslinie ließ mich bislang selten lange an einem Ort verweilen. Mein Lebens- und Arbeitspartner Marquinho de Silva und ich hätten uns die Produktion des Albums bequem gestalten können. Schnelle Rechner mit hoher Datenkapazität ermöglichen längst so genanntes Home-Recording. Aber wir wollten raus, wollten die Vibes der Stationen meiner bisherigen Lebensreise für »Tropical Soul« einfangen, um das Album so lebensnah wie möglich klingen zu lassen. Damit begann eine lange Phase des Lebens aus dem Koffer...

Die erste Etappe führte uns nach Los Angeles, in die Ballroom Studios, wo wir unter der Ägide unserer Co-Produzenten, Drummer Robin di Maggio (Paul Simon, David Bowie, Dr.Dre, Daft Punk) und Keyboarder Renato Neto (Prince) die Basic-Tracks für »Tropical Soul« aufnahmen. Robin kennt praktisch jeden Musiker in Amerika und ihn kostete es keine Mühe, Alex Al für die Aufnahmen zu unserem Album zu gewinnen. Alex war bis zu dessen Tod Bassist von Michael Jackson gewesen und gehörte zur siebenköpfigen Band, die im Film »This Is It« zu sehen und hören ist. Nach dieser ersten Session in L.A., bei der ich so wunderbare musikalische Momente erleben durfte, flogen wir nach Spanien, um dort einzelne Aufnahmespuren zu verwerfen und neu aufzunehmen. Von Spanien aus ging es zurück in unser deutsches Domizil am Bodensee, wo wir weiter an Sound- und Textfragmenten feilten. Wieder zurück in Los Angeles, gingen die Aufnahmen in die zweite Runde. Von Kalifornien flogen wir in meine Geburtsstadt Sao Paulo. Insgesamt verbrachten wir sechs Monate in Brasilien, reisten aber für zwei weitere Sessions nach Los Angeles zurück. In der Wiener Staatsoper nahmen wir die Streicher auf. Schließlich erfuhr mein neues Album im Studio meines Landsmanns Renato Neto in Sao Paulo den finalen Feinschliff. Während wir mit Renato im brasilianischen Sommer arbeiteten, rief Prince mehrmals aus dem tiefsten Winter in Minneapolis bei Renato an.

Sao Paulo weckt in mir die unterschiedlichsten Erinnerungen. Ich wuchs dort in einer Favela auf und konnte wegen einer schweren Krankheit, die mich in meiner Kindheit ereilte, allmorgendlich buchstäblich nur auf Knien in die Schule rutschen. Aufrecht zu gehen lernte ich vor allem durch Willenskraft. Dass ich später für ein paar namhafte Mode-Labels modeln konnte, hielten meine Ärzte rückblickend betrachtet für ein kleines Wunder. Der Eröffnungssong »Run« handelt von diesem Teil meines Lebens. Die Nummer soll Mut machen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht zu resignieren – ganz gleich, wie viele Steine einem in den Weg gelegt worden sind. Der Titelsong »Tropical Soul« steckt voller schillernder Kontraste - wie der brasilianische Dschungel. Ich beschreibe darin mehrere Ebenen meines Istzustands. Einerseits ist klar, dass ich eine tropische Seele bin. Andererseits war meine musikalische Ausbildung sowohl von der Musik meiner tropischen Heimat wie auch von amerikanischen Breitwand-Produktionen geprägt. Amerikanische Musik ist Soul für mich.

 »You And I« ist für mich ein Kernstück auf dem neuen Album. Vordergründig betrachtet, könnte der Song eine romantische Ballade sein. Es geht aber um häusliche Gewalt, die viele Frauen leider überall auf der Welt immer wieder erfahren. Die Gesellschaft Brasiliens ist leider immer noch wahnsinnig vom Machismo geprägt. Ich war mit einem Brasilianer verheiratet und bekam die ganze Bandbreite an emotionaler und physischer Gewalttätigkeit zu spüren. Bis ich schließlich den Mut fand, die Polizei anzurufen, was sich viele Leidensgenossinnen nach wie vor nicht zu wagen trauen. Erst jetzt, knapp 17 Jahre nach dem Ende meiner Ehe, kann ich diese Lebenserfahrung in einem Lied verarbeiten. Wir haben zu dem Song in Brasilien ein Video gedreht, dessen Bilder das Ausmaß der gespürten Gewalt schildern. Der Zufall wollte es, dass es der 8. März 2016 war - der internationale Tag der Frau!

Ein Freund fragte mich kürzlich, ob es nicht schmerzhaft ist, ständig gut gelaunt zu sein. Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich in etlichen weiteren Songs meines neuen Albums eine Antwort gebe. Wer in jungen Jahren viel Leid und Gewalt erfuhr, den kostet es viel Mühe schlechtgelaunt zu sein, wenn man all das hinter sich gelassen hat. Ich bin in einer Kultur groß geworden, zu deren Rhythmen die ganze Welt schwingt. Ich öffne beim Singen die Fenster zu meiner Seele. Und wenn ich von Not und Armut singe, die sich hinter den einladend-lächelnden Gesichtern meiner Heimat verbergen, erzähle ich auch von der amerikanischen und von der deutschen Kultur. Armut, Elend, Not, Glück, Gewalt, Liebe, Erfüllung, Selbstbewusstsein, Erfolg – all das liegt inzwischen, global betrachtet, ganz nah beieinander. So wie auch die verschiedenen Musikwelten immer näher zusammenrücken.

Ein Bekannter bezeichnete mich vor ein paar Monaten als »die deutsche Stimme Brasiliens«. Es wäre vermessen, ihm zuzustimmen. Ich vereine mit deutscher Mutter und brasilianischem Vater ein Stück der globalen Kultur in mir, in der wir mittlerweile alle leben. Und so klingt auch mein neues Album. Es ist keine Folklore-Platte. Brasilianische Harmonien haben darin genauso ihren Platz wie europäische Popmusik und amerikanischer Soul. All das hörte ich schon als Kind in Sao Paulo.

Die Fotos, die wir für das Album im brasilianischen Regenwald aufnahmen, feiern die Weiblichkeit in all ihrer Größe und Pracht. Der Federschmuck symbolisiert für mich die Macht der Natur. Er symbolisiert aber auch einen Gegenpol zur Unterdrückung von Frauen. Wir können Königinnen sein, wenn wir wollen. Ich möchte mit den Fotos die Sinnlichkeit des weiblichen Körpers unterstreichen. Die Sinnlichkeit meines Körpers gehört mir und ich darf sie spüren, um mich selbst jeden Tag aufs Neue zu erfahren. Das ist ein wunderbares Geschenk, ein äußeres Merkmal meiner »Tropical Soul«.


Herzlichen Gruß, um abraço!
Ihre Bê Ignacio